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Steuergerechtigkeit als Ziel steuerlicher Reformen

Geschrieben von Irina Neschenz Kategorie

„Steuerpolitische Perspektiven der neuen Legislaturperiode aus dem Blickwinkel von Steuergerechtigkeit und Steuermoral" - so lautete das Motto des 66. Berliner Steuergesprächs, welches am 29.01.2018 im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin stattfand. Zwar waren an diesem Tag - anders als von den Veranstaltern erwartet - noch keine konkreten steuerpolitischen Festlegungen in Gestalt eines Koalitionsvertrages erfolgt, in Ermangelung dessen befasste sich die Expertenrunde aber u. a. mit dem Ergebnispapier der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD vom 12.01.2018 und untersuchte die darin gemachten Aussagen im Hinblick auf Steuergerechtigkeit und Steuermoral.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Roman Seer von der Ruhr-Universität Bochum. Er begrüßte zunächst die Experten auf dem Podium, und zwar Prof. Dr. Hanno Kube von der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg, Prof. Dr. Frank Hechtner vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Berlin, StB Dr. Hartmut Schwab, Vizepräsident der Bundessteuerberaterkammer, und Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung im Bundesministerium der Finanzen. Als Überraschungsgast begrüßte Seer zudem die Philosophin und Personalberaterin Dr. Irina Kummert, Präsidentin des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft, die sich in jüngster Zeit in verschiedenen Veröffentlichungen zu Fragen der Steuergerechtigkeit und Steuermoral geäußert hatte.

In einem einführenden Vortrag legte Prof. Dr. Kube dar, dass aus seiner juristischen Sicht Steuergerechtigkeit in Deutschland ausschließlich an den Vorschriften des Grundgesetzes zu messen sei. Daneben habe der Begriff der Steuergerechtigkeit in der deutschen Verfassungsordnung keinen Raum. Im internationalen Bereich sei der Begriff der Steuergerechtigkeit schwerer zu greifen, weil es hier an übergeordneten, verbindlichen Rechtstexten weitgehend fehle. Dies vorausgeschickt, untersuchte Kube sodann einige der in dem o. g. Sondierungspapier aufgeführten steuerpolitischen Aspekte wie die mögliche Abschaffung der Abgeltungssteuer auf Zinsen, die steuerlichen Förderungsmaßnahmen für Forschung und Entwicklung, für Digitalisierungsmaßnahmen und für die Belebung des Wohnungsbaus, außerdem die angesprochenen familienbezogenen Neuerungen in den Bereichen Kindergeld und Kinderfreibetrag sowie den Abbau des Solidaritätszuschlags, den er in Bezug auf die selektive Behandlung bestimmter Gruppen von Steuerpflichtigen kritisch sah. Festzuhalten sei aus seiner Sicht, dass trotz sprudelnder Steuereinnahmen kaum Steuerentlastungen vorgesehen seien und dass offenbar grundlegende Änderungen z. B. im Hinblick auf eine Vereinfachung des Steuerrechts, auf ein Überdenken der auf Missbrauchsbekämpfung angelegten Steuerpolitik der vergangenen Jahre, auf eine Reform des Einkommensteuertarifs z. B. in Sachen Mittelstandsbauch und kalte Progression, auf eine Reform der Familienbesteuerung (Beibehaltung des Ehegattensplittings) oder auf die Zukunft der Gewerbesteuer nicht Gegenstand der zukünftigen Regierungspolitik sein sollen.

Prof. Dr. Hechtner untersuchte die steuerpolitischen Absichtserklärungen sodann aus der Sicht eines Wirtschaftswissenschaftlers. Im Hinblick auf Steuergerechtigkeit und Steuermoral verwies er darauf, dass die betriebswirtschaftliche Steuerlehre ihre Aufgabe nicht darin sehe, ethisch-normative Wertprämissen zu entwickeln. Sie untersuche primär die Auswirkungen von Steuern auf das wirtschaftliche Handeln der Marktteilnehmer. Insofern könne sie z. B. auch die Wirkungen komplizierter steuerlicher Regelungen oder hoher Steuersätze auf die Steuermoral messen. In diesem Zusammenhang sprach Hechtner die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34 a EStG an, die längst nicht in dem Maße entlastend wirke, wie es in der seinerzeitigen Gesetzesbegründung angenommen worden sei. Die Regelung werde in viel geringerem Maße in Anspruch genommen, als bei Schaffung der Norm behauptet wurde. Hechtner empfahl deshalb der Politik, über eine Nachjustierung oder Abschaffung der Norm nachzudenken. Jedenfalls seien die damals in den Raum gestellten steuerentlastenden Wirkungen mit Abstand nicht erreicht worden. - Aus seiner Sicht dürfe die Diskussion über Steuergerechtigkeit aber auch nicht auf den Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit reduziert werden, sondern müsse auch den Umgang der Finanzverwaltung mit den Steuerpflichtigen in den Blick nehmen. Außerdem frage er sich, was „aggressive" Steuervermeidung, welche die Politik zu bekämpfen beabsichtige, eigentlich sein soll. Eine klare Definition dessen, was hierunter zu verstehen ist, sei bisher nicht gelungen, was entsprechende Maßnahmenkonzepte zweifelhaft erscheinen lasse.

Der Steuerabteilungsleiter im BMF Michael Sell erklärte, dass er sich nicht zu den aktuellen steuerpolitischen Diskussionen äußern werde, die gegenwärtig im Rahmen von Koalitionsverhandlungen von der Politik geführt würden. Was den Aspekt der Steuergerechtigkeit angehe, so sei dieser naturgemäß schwer definierbar, da erhebliche Wertungskomponenten und persönliche Einschätzungen mit ihm verbunden seien. Betrachte man das deutsche Steuersystem, so könne man im Jahre 2018 nicht nur das hundertjährige Bestehen einer Finanzgerichtsbarkeit und die ebenso lange Existenz der Umsatzsteuer feiern, sondern auch die seit 125 Jahren geltende Steuerprogression in der Einkommensteuer, denn im Jahre 1893 sei durch die Miquel‘sche Steuerreform erstmals ein progressiver Steuertarif eingeführt worden. Generell könne man vielleicht feststellen, dass bei alten Steuern und alten Besteuerungsprinzipien eine Vermutung dafürspreche, dass sie gerecht seien. Zu diesen alten und bewährten Besteuerungsprinzipien zähle auch, dass in Deutschland Steuern nicht nach Legitimität, sondern nach gesetzlichen Vorschriften erhoben werden. Wer die Gesetze befolge, sei in Deutschland - rechtlich betrachtet - auf der sicheren Seite. Das schütze allerdings nicht vor einer auch medial geführten Debatte darüber, was steuerlich gerecht sei. Wer hier Defizite sehe, dürfe seine Kritik zwar eigentlich gar nicht an die von steuerlichen Möglichkeiten Gebrauch machenden Steuerpflichtigen richten, sondern habe im Grunde den Steuergesetzgeber anzusprechen, die Praxis zeige aber, dass betreffende Unternehmen und ihre Berater vor öffentlichen Angriffen nicht geschützt seien. Hier sei sicherlich noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, zumal Legitimitätsvorstellungen sehr subjektiv seien. Wer steuerpolitische Vorstellungen habe, besitze nur dann einen Anspruch darauf, dass diese umgesetzt werden, wenn sie in Gesetze gegossen würden; alles andere seien Meinungsdiskussionen. - Ausführlich ging Sell auch auf das nach seiner Überzeugung gescheiterte wissenschaftliche Modell des Homo oeconomicus ein. Die Verhaltensökonomik (Behavioural Economics) unterscheide sich von dem neoklassischen Standard Economic Modell gerade dadurch, dass sie an das tatsächliche Verhalten der Menschen anknüpft und nicht ein bestimmtes, vielleicht unrealistisches Verhalten axiomatisch voraussetzt. In diesem Zusammenhang ging Sell auch auf den sog. Gini-Koeffizienten ein, der zur Messung von Ungleichverteilungen, u. a. in der Einkommens- und Vermögensverteilung, entwickelt wurde. Nehme man diesen als Anknüpfungspunkt, stehe Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen Gleichbehandlung relativ gut da. Auch dies sei ein Aspekt, der mit Steuergerechtigkeit zu tun habe. - Wichtige Gerechtigkeitsdebatten sah Sell in Bezug auf die Grundsteuer auf Deutschland zukommen. Diese Steuer betreffe nahezu jeden Steuerpflichtigen in Deutschland. Sofern das Bundesverfassungsgericht hier eine Neuordnung verlange, komme viel Arbeit auf die Steuerpolitik zu.

StB Hartmut Schwab, Präsident der Steuerberaterkammer München und Vizepräsident der BStBK, stellte vier Aspekte in den Mittelpunkt seiner Ausführungen: Die Einführung einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen sei abzulehnen, bei der umsatzsteuerlichen Organschaft müsse für mehr Rechtssicherheit gesorgt werden, wobei man sich an ausländischen Regelungen ein Beispiel nehmen könne, die Auskunfts- und Informationsrechte der Steuerpflichtigen in Deutschland müssten gestärkt werden und es sei eine Neuregelung der Verlustverrechnung nach den §§ 8c und 8d EStG erforderlich. Ausdrücklich unterstützte Schwab den Vorredner darin, dass es eine rechtliche Pflicht, mehr als die gesetzlich geschuldeten Steuern zu zahlen, aus rechtsstaatlichen Gründen nicht geben könne. Mehr als Gesetzestreue könne der Staat von seinen Bürgern nicht verlangen. Und als Berater füge er hinzu: Wenn der Gesetzgeber ein gewisses Verhalten nicht wolle, müsse er es klar zum Ausdruck bringen. Ansonsten sei man als Berater verpflichtet, den steueroptimalen Weg zu weisen und hafte, wenn man dies nicht tue. Steuerberater und Mandanten dürften hier nicht zwischen die Fronten geraten.

Unter philosophischen und sprachwissenschaftlichen Aspekten betrachtete dann Dr. Irina Kummert die Themen Steuergerechtigkeit und Steuermoral. Dabei legte sie einleitend dar, dass Begriffe wie „Steuerpflicht", „Steuerlast", „Steuerentlastung", „Steuererleichterung", „Steueroasen", „Steuerparadies", „Steuerschlupflöcher" und „Steuerehrlichkeit" das abstrakte Instrument Steuer an eine moralische Verpflichtung gegenüber einer Gemeinschaft, der Bevölkerung, oder einem Wert, der Steuergerechtigkeit, koppeln. Der Begriff „Steuer" werde moralisch interpretiert, ohne dass wir dies recht merkten. Das Zahlen von Steuern solle angesehen und angenehm, das Nichtzahlen von Steuern verächtlich und unangenehm erscheinen. Hier gelte es aufzupassen: Konzerne wie Apple handelten völlig legal, wenn sie in Deutschland keine oder kaum Steuern abführten, da sie hier durch kein Gesetz dazu verpflichtet würden. Es sei klar, dass Konzerne wie Apple Steuern als vermeidbare Kosten behandelten, solange die Steuergesetzgebung nicht weltweit angepasst werde. - Hinzu kämen die Kompliziertheit der Steuersysteme und der verschwenderische Umgang mit Steuermitteln. Sie seien es, die in der Bevölkerung das Gefühl wachsen ließen, dass Ungerechtigkeit herrsche. Es fehle an Transparenz und Differenzierung in diesem Bereich.

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde u. a. die Frage aufgeworfen, warum es in Deutschland - im Gegensatz etwa zu Schweden - keine gesellschaftliche Akzeptanz dafür gebe, öffentlich bekannt zu geben, wie viel Steuern jeder Steuerpflichtige zahlt. Steuern zu zahlen, sei doch etwas Positives im Sinne der Gemeinschaft, dessen man sich rühmen dürfe und für das man eigentlich gesellschaftlich belohnt werden müsste. Allgemein wurde aber ein solches Maß an Transparenz als nicht der deutschen Tradition und Gefühlslage entsprechend betrachtet. - Ein anderer Diskussionsteilnehmer sah es als essentiell an, das deutsche Steuerrecht zu vereinfachen: „Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung" lautete seine These. Auch hier war aber die weit überwiegende Ansicht, dass es sich bei der zunehmenden Kompliziertheit des Steuerrechts um einen irreversiblen Prozess handele: eine komplizierter werdende Welt mache kompliziertere Regelungen unausweichlich. - Hinweise aus dem Kreis der Teilnehmer gab es in Sachen Faktenbasierung: In den Medien werde mit zweistelligen Milliardenbeträgen argumentiert, wenn es um die von einem großen Konzern erwirtschafteten Gewinne gehe; nicht erläutert werde aber, dass es sich um Beträge handele, die aus einer Vielzahl von Ländern stammten und dass nur ein Teil dieser Gewinne in Deutschland und anderen Staaten auch in Steuern münde. Es werde also mit missverständlichen Zahlen operiert, um moralisch Stimmung zu machen, wo nur eine Diskussion harter Fakten weiterführen könne.

An der Veranstaltung nahmen für den DStV dessen Hauptgeschäftsführer RA/FAStR Prof. Dr. Axel Pestke und die Leiterin der Steuerabteilung RA/StB Sylvia Mein teil.

Das nächste Berliner Steuergespräch findet am 04.06.2018 statt und wird dem Thema „Anzeigepflicht für Steuergestaltungen" gewidmet sein. DStV-Präsident StB/WP Harald Elster ist bei dieser Veranstaltung als Experte auf dem Podium vorgesehen.

 

Mitteilung vom 31.01.2018, Deutscher Steuerverband

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